Es geht auch ohne Pflegestützpunkte

Januar 2008
Eine Berliner Unternehmerin berät seit fünf Jahren bundesweit Pflegebedürftige. Die Pflegereform könnte das privatwirtschaftliche Engagement in Bedrängnis bringen.
In 4000 Pflegestützpunkten sollen Pflegepatienten und deren Angehörige künftig gleich vor der Wohnungstüre Rat und Hilfe finden. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will dafür aus Beitragsgeldern zum Anschub 80 Millionen Euro lockermachen. Die ersten Modellprojekte á 30 000 Euro aus der Pflegekasse sind schon auf den Weg gebracht. Dabei geht es auch anders: privatwirtschaftlich finanziert und ohne Geld aus der (halb-)staatlichen Pflegekasse, wie ein Berliner Beispiel zeigt. Seniorplace heißt das Unternehmen, das Nicole Böwing vor fast fünf Jahren gegründet hat. Am Anfang stand ein persönliches Erlebnis: Ein Pflegefall in der Familie, die Suche nach dem richtigen Platz und eine wenig hilfreiche Beratung durch die Pflegekasse. Diese Erfahrung, gepaart mit einer unternehmerischen Anregung aus Amerika namens „A Place for Mom“, reichte Böwing zum Start ihres Beratungsunternehmens, ohne Bankfinanzierung und mit eigenem Geld. Was Mitte 2003 nach viel Klinkenputzen und Telefonaten aus dem häuslichen Arbeitszimmer begann, hat sich inzwischen zu einem kleinen mittelständischen Unternehmen mit 35 Beschäftigten entwickelt. Es sind vor allem Frauen um die 50. Die seien die besten Berater, sag Böwing. Ihr Geschäftskonzept ist schnell skizziert: Seniorplace berät vor allem am Telefon und per Internet alle, die Fragen zur Pflege haben und einen Platz für sich oder Angehörige suchen. Wer will, bekommt nach Beratung drei Vorschläge. Für die 65 000 Ratsuchenden, die Böwing bisher gezählt hat, ist der Service kostenfrei. Bei einer Vermittlung nicht eine kommt auf zehn Beratungen – bekommt Seniorplace eine Vermittlungsgebühr, die das Heim bezahlt: 15 Tagessätze in der niedrigsten Pflegestufe. Ein Tagessatz liegt in der Regel zwischen 75 und 80 Euro. Für die Heime rechnet sich das offensichtlich. Bundesweit gibt es einen Überhang an Pflegeheimplätzen. Für Böwing rechnet sich das auch: Rote Zahlen kann ich mir nicht leisten. Seniorplace kooperiert mit 3500 Heimen, sagt Böwing. Das ist knapp ein Drittel der 12 000 Pflegeeinrichtungen. Als Partner nennt sie private Ketten wie Kursana oder das Rote Kreuz, die Caritas, die AWO und andere Wohlfahrtsorganisationen. Sie arbeitet mit der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), kleineren Ersatz und Betriebskrankenkassen und künftig wohl auch mit der Barmer Ersatzkasse zusammen. Oft genug bekommen die 28 Pflegeberater auch zu hören, dass Versicherte von anderen Pflegekassen an Seniorplace verwiesen werden. Böwing sagt, mit ihrem bundesweiten Auftritt sei sie einzigartig in Deutschland. Zwar gebe es auch andere private Pflegeberater, nach Angaben des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste 2500, doch arbeiteten diese meist lokal oder regional. Als die Berliner Behörden der Sozialversicherungsfachwirtin mit einschlägiger Erfahrung in IT und Vertrieb 2003 den Zugang zu Daten von Pflegeheimen aus Schutzgründen verweigerten, baute sie sich eine eigene EDV auf. Heute weiß sie nach zwei, drei Klicks, wo der Kunde einen Kanarienvogel oder eigene Möbel mitbringen kann, wie groß die Zimmer, wie sonnig die Lage und wie weit die nächste Bushaltestelle vom Heim entfernt ist. Fördermittel hat sie beantragt, aber nicht bekommen. Es ging auch ohne. Wir sind ein sehr kompetenter Nischendienstleister, sagt die 34 Jahre alte Frau und verweist selbstbewusst darauf, dass sich in ihrem Unternehmen „soziales und wirtschaftliches Engagement verbindet.“ Die demographische Entwicklung und der steigende Beratungsbedarf müssten eigentlich für weiter glänzende Geschäftsaussichten sorgen. Doch trübt die Pflegereform mit ihren verordneten Beratungsstützpunkten die Aussichten kräftig ein: Angesichts der bisher eher schlechten Beratungsqualität der Pflegekassen – hierin stimmt Böwing der Ministerin aus vollem Herzen zu – ist ihr um ihr Geschäft noch nicht bange. Aber gegen eine staatlich finanzierte Konkurrenz könne ein auf Gewinn angewiesenes privates Unternehmen auf Dauer schlecht im Wettbewerb bestehen. Andere private Kapitalgeber werden es sich wohl auch gut überlegen, ob sie in so einer Konkurrenzlage investieren. Die Kunden schätzten die anonyme Beratung, den Dienst rund um die Uhr, gerade am Abend, am Wochenende und an Feiertagen, sagt Böwing. Das zum Teil existierende staatliche Beratungsstellenkonzept mit Öffnungszeiten von 10 Uhr am Morgen bis 17 Uhr am Nachmittag habe sich nicht bewährt. Umso mehr verwundert sie, dass die Politik das Konzept mit Millionenbeträgen aus Beitragsgeldern ausweiten will. Das Geld würde doch besser in die Pflege von Menschen investiert.
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